Kinderland
Ina Kwon

 

Vor ein paar Jahren hatte ich mehrere Nebenjobs gleichzeitig. Einer davon war der Job als Betreuerin im Kinderland, der mir ganz kurzfristig von einer Promotionagentur angeboten wurde, da jemand ausgefallen war und sie für den nächsten Tag Ersatz brauchten. Beim Vorstellungsgespräch hatte ich behauptet, bereits Erfahrung im Umgang mit Kindern zu haben. Ich wusste, dass meine Chancen, für einen Promojob ausgewählt zu werden, sehr gering waren. Ein polizeiliches Führungszeugnis, das normalerweise für die Arbeit mit Kindern verlangt wird, musste ich nie vorlegen.

Das Kinderland befand sich in einem großen Einkaufszentrum am Stadtrand. Es war nur freitags und samstags geöffnet. Zwei Betreuende beaufsichtigten bis zu zwanzig Kinder, wobei eine Person eigentlich immer mit dem Prozedere der An- und Abmeldung beschäftigt war. Untergebracht war es in einem etwa vierzig Quadratmeter großen Raum, der vorher lange leer stand. Zur Ausstattung gehörten Kindertische und Kinderstühle, Spielsachen und Bastelzeug und ein Bällebad. Es gab auch einen Fernseher und eine Auswahl von Disneyfilmen. Die Betreuenden wurden jedoch von der Projektmanagerin angehalten, Fernsehen nur ausnahmsweise zu erlauben, und sich lieber aktiv mit den Kindern zu beschäftigen.
Am liebsten waren allen Betreuenden die Kinder, die ruhig am großen Tisch in der Mitte des Raumes saßen und malten. Es gab nicht wirklich Platz zum Herumlaufen und sobald mehr als ein Kind durch den Raum tobte, wurde es unruhig. Die Kinder schlitterten mit Socken über den glatten Boden und die Betreuenden riefen dann immer wieder mahnend “Nicht so wild!”, was natürlich nichts brachte.

Vor meiner Zeit soll auch ein ausgebildeter Erzieher im Kinderland gearbeitet haben. Nachdem er eine feste Anstellung gefunden hatte, kündigte er jedoch und es gab nur noch Studierende, die auch andere Jobs für die Agentur machten. Die Bezahlung im Kinderland war im Vergleich zu den meisten anderen Jobs etwas besser und ich weiß, dass wir mehr bekamen als die Männer von der Security im Center. Ein Betreuer meinte sogar, dass seine Mutter als Erzieherin im Kindergarten nach Abzug der Steuern auch nicht mehr verdiente als wir. Er regte sich immer darüber auf, wenn Eltern mit ihren Kindern übers “Kacken” sprachen. Es sagte, dass Erwachsene ja auch nicht von sich und anderen Leuten sagten, dass sie kacken müssten und sie daher gefälligst auch normal mit ihren Kindern reden sollten.

Einige Eltern gaben ihre Kinder nicht im Kinderland ab, wenn sie sahen, wie voll es dort war. Den meisten machte es jedoch nichts aus und manche Eltern waren beleidigt, wenn wir sie vertrösten mussten, weil es keinen Platz mehr gab. Es gab Eltern, die ihre Kinder einfach nur bei uns abliefern wollten und denen wir, bevor sie wieder zur Tür raus waren, noch schnell erklärten, dass sie auch noch ein Kontaktformular ausfüllen mussten. Einige Eltern sprachen kein Deutsch, was die Verständigung etwas kompliziert machte. Schwieriger war es jedoch, wenn die Kinder uns nicht verstehen konnten – oder wollten, was unabhängig von der Sprache immer wieder vorkam. Wenn es richtige Probleme gab und die Eltern angerufen werden mussten, waren sie oft nicht erreichbar. Der Empfang im Center war sehr schlecht. Wenn man sie daraufhin über die Info im Center ausrufen ließ, dauerte es sehr lange, bis sie zurückkamen.

Wenn man Kinder hat, denkt und plant man anders. Viele meiner Freunde mit Kindern treffen sich nur noch mit Leuten, die auch Kinder haben. Sie verbringen ihre Zeit lieber mit den Eltern der Freunde von ihren Kindern als mir ihren Freunden. Das sei einfacher, weil die Kinder dann beschäftigt seien, sagen sie. Sie sind immer müde und wollen Stress vermeiden, auch beim Einkaufen. Die Eltern, die ihre Kinder im Kinderland abgaben, waren oft sehr erleichtert und dankbar für den kostenlosen Service. Ihre gewonnene Freizeit verbrachten sie mit Shoppen und das Einkaufszentrum rühmte sich als besonders familienfreundlich.

Manche Kinder kamen jedes Wochenende, am Freitag und am Samstag.
Sie blieben für die maximale Dauer von drei Stunden und wurden nie früher abgeholt. Es war klar, dass der Besuch im Kinderland ein fester Bestandteil des Wochenendprogramms war. Wenn wir die Kinder fragten, was sie sonst so in ihrer Freizeit machten, antworteten einige nur: Fernsehen gucken. Mit einigen
Kindern gab es immer wieder Stress, vor allem mit kleinen Jungs. Nach einer Stunde wurden sie total unruhig, der Raum war ja nicht zum Toben geeignet, dann gab es meistens Streit mit anderen Kindern und Geschrei und Geheule. Zu den Kindern, die regelmäßig kamen, gehörten auch die, deren Eltern im Einkaufszentrum arbeiteten. Vor allem, wenn die ganze Familie in der Gastronomie beschäftigt war, gab es anscheinend niemanden, um sich am Wochenende um die Kinder zu kümmern. Die Betreuenden kamen gut mit ihnen zurecht, aber das Centermanagement ließ ausrichten, dass das Kinderland kein Betriebskindergarten sei und die Plätze vorrangig der Kundschaft zur Verfügung stehen sollten.

Für die Betreuenden als Aushilfskräfte eines externen Dienstleisters gab es keinen Pausenraum. In der Pause holten sich die meisten etwas im Center zu essen und gingen einkaufen. Vor dem Center stand eine Bank mit Blick auf den Parkplatz. Die Toilette im Kinderland war der einzige Ort, an dem man seine Ruhe hatte und der auch im Sommer etwas Abkühlung bot. Der Raum, in dem das Kinderland untergebracht war, besaß weder Fenster nach draußen noch eine Klimaanlage. Wenn man vorn die Tür öffnete, kam nur warme Luft und der ganze Essensgeruch vom Einkaufscenter rein und hinten gab es nur einen Notausgang zum Parkhausdeck. Den haben wir manchmal einfach aufgemacht, obwohl das nicht erlaubt war, und mit Matten abgesperrt, damit die Kinder da nicht rausliefen. Manchmal bin ich nur auf die Toilette gegangen, um frischere, kühle Luft zu atmen.

Am meisten störte mich, dass man nichts Richtiges mit den Kindern machen konnte, weil man nie wusste, wie lange sie blieben. Wenn man ein Brettspiel spielte oder bastelte, konnte es passieren, dass mittendrin die Eltern auftauchten und erwarteten, dass die Kinder sofort mitkamen. Immerhin konnten die Kinder die angefangenen Ausmalbilder mit nach Hause nehmen und dort weiter malen. Sie wurden oft aber einfach liegen gelassen.
 

[Der Text war ursprünglich Teil einer Installation in der Ausstellung »Das Haus spielt mit« im Kunsthaus Dresden, 2016.]